Historische Epistemologie als Reflexion über Wissen fragt nach den impliziten oder explizit reflektierten Erkenntnisvoraussetzungen, die in den Epistemen (gr. ἐπιστήμη ‚Wissen, Kenntnis, Einsicht, Fertigkeit, Wissenschaft‘) einer Kultur zur Genese von historischen Wissensformationen beitragen. Die Fähigkeit zur Reflexion über Wissen (Denken zweiter Ordnung), einschließlich der Ausbildung expliziter Epistemologien, wird in den historisch orientierten Geistes- und Kulturwissenschaften mit dem Beginn der griechischen Philosophie seit vorsokratischer Zeit verbunden. Üblicherweise und aktuell mit dem erneuten Aufblühen der Achsenzeittheorien werden die Kulturen des alten Vorderen Orients (einschließlich Ägyptens und Israels) als archaische Kulturen bezeichnet, in denen die Reflexion über Genese und Charakter von Wissen kaum vorhanden gewesen sein soll. Den sogenannten Hochkulturen an Euphrat, Tigris und Nil, die wesentlichen Einfluss auf die Ausbildung des biblischen Gedankenguts ausübten, wurde im Rahmen traditioneller Wissenschaftsgeschichte ein Denken „wrapped in imagination“, „tainted with fantasy“ (Frankfort/Frankfort) und einem „lukewarm mind“ (Mogens Trolle Larsen) zugeschrieben.
Gegen diese Sichtweise zeichnen sich in den vergangenen Jahren Neuansätze bei der Erforschung von „Epistemen“ in diesen Kulturen ab, nicht nur, aber vor allem in der Ägyptologie und Assyriologie. Der Begriff „Episteme“ stellt im Sinne Foucaults ein kulturell und geschichtlich bedingtes, kollektives a priori dar, das der Dokumentation von und dem Diskurs über Wissen vorgegeben ist. Die „Episteme“ oder kognitiven „Schemata“ (Philippe Descola) sind ebenso wie die explizite Reflexion über sie (Denken zweiter Ordnung) für das antike Israel/Palästina des 1. Jahrtausends vor Christus bisher nur punktuell erforscht wurden. An dieser Forschungslücke setzt die anstehende Konferenz über antike Epistemologien im an. Ziel des Vorhabens ist es, kognitive Regelprozesse im Alten Orient und der mediterranen Antike zu untersuchen und deren implizite oder explizite Reflexions- und Abstraktionsleistungen bezogen auf das antike Israel/Palästina aufzuzeigen.
Ancient Israelite Epistemology ist ein Netzwerk, das 2017 mit Netzwerktreffen und Workshops an den Universitäten von Aarhus und Columbia seinen Anfang nahm (finanziert aus Mitteln der Danish Agency for Science, Technology and Innovation), 2020 in Potchefstroom (Südafrika) zum Spezialthema „Epistemologien im Hiobbuch“ eine erste Schwerpunktsetzung fand (finanziert aus Mitteln der North-West-University) und mit einer Konferenz in Wuppertal, finanziert aus DFG-Mitteln, fortgeführt wird.
zuletzt bearbeitet am: 01.02.2023